Bisher ist nur wenigen bekannt, was sich hinter dem Namen Agroforst verbirgt. Einfach ausgedrückt bedeutet es die Kombination von Bäumen und Sträuchern mit landwirtschaftlichen Kulturen auf einer Fläche. Häufig werden Agroforstsysteme auch mit Nutztieren bewirtschaftet. Die Bekanntheit wird zunehmen, da sind sich zahlreiche Wissenschaftler*innen einig. Einige Expert*innen kamen im Rahmen der Ringvorlesung "Agroforst Landwirtschaft braucht Zukunft" in den vergangenen Monaten an der Universität Göttingen zusammen.
Am Donnerstag, 23.01.2020, beim letzten Teil der Vortragsreihe diskutierten Vertreter*innen unterschiedlicher Institutionen und Positionen um die Frage "Wege zu mehr Agroforstwirtschaft". Geleitet wurde die Diskussionsrunde durch den Superintendanten des ev.-luth. Kirchenkreises Göttingen Friedrich Selter. Mit großer Begeisterung an der Thematik moderierte er die fünfköpfige Runde. Mit Prof. Dr. Ludwig Theuvsen, Abteilungsleiter für Landwirtschaft, Agrarpolitik und Nachhaltigkeit im Niedersächsischen Ministerium, saß nicht nur ein politischer Vertreter in der Runde, sondern auch jemand, der für die Ideen der Agroforstpraktiker*innen reges Interesse zeigte. Der Deutsche Fachverband für Agroforstwirtschaft (DeFAF) wurde durch Anja Chalmin vertreten, sowie die Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AdL) durch den stellvertretenden Vorsitzenden Eberhard Prunzel-Ulrich. Des Weiteren saßen Paul Hofmann, Agroforstplaner und angehender Praktiker, sowie Christoph Meixner, Gründungsmitglied des DeFAF, Projektkoordinator des im Landkreis Göttingen ansässigen Streuobst e. V. und Agroforstplaner bei TRIEBWERK, in der Runde und konnten vor allem durch ihre praktischen Erfahrungen wertvolle Beiträge in die Diskussion einbringen.
Ausgangspunkt des Abends war die aktuelle Lage der Agroforstwirtschaft in Deutschland. Bis auf die traditionell-historischen Agroforstsysteme Streuobst oder Hutewald gibt es hierzulande fast ausschließlich Energieholzplantagen, die jedoch nur als Agroforstsysteme gelten, sofern sie in Kombination mit Grünland oder Ackerkulturen gemeinsam angebaut werden. Aber auch diese als Kurzumtriebsplantagen (KUP) bezeichneten Systeme nehmen einen sehr geringen Flächenanteil ein. Dabei hat die Agroforstwirtschaft zahlreiche Vorteile, wie in der Diskussionsrunde mehrfach dargestellt wurde. Insbesondere auf die aktuellen Herausforderungen des Klimawandels, der abnehmenden Artenvielfalt oder der Nitratauswaschung haben Agroforstsysteme eine Antwort, so die Wissenschaftlerin Anja Chalmin.
Als eine wichtige Komponente in der Diskussion um Lösungsstrategien der landwirtschaftlichen Probleme nannte Eberhard Prunzel-Ulrich (auch bekannt durch seinen Käsehof Landolfshausen) die bäuerliche Landwirtschaft. Denn nur mit Menschen in der Landwirtschaft lassen sich die Herausforderungen bewältigen. Ein eindrückliches Beispiel, wie Menschen wieder für die Landbewirtschaftung gewonnen werden können, zeigte Paul Hofmann, der die weite Strecke aus dem Schwarzwald auf sich nahm, um den interessierten 200 Zuhörer*innen von seinem Gemeinschaftshof „Hof Sonnenwald für regenerative Agrikult" zu berichten. Dort werden unterschiedlichste Pflanzenarten von Grünland und Getreide über Sträucher bis hin zu Bäumen kombiniert und ähnlich der natürlichen Sukzession gemanagt.
Entgegen der deutschen Entwicklung nehmen die Agroforstsysteme in der Schweiz oder Frankreich gerade stark zu. Das liege unter anderem daran, dass Deutschland die EU-Förderung nicht umsetze, so Chalmin, die sich gemeinsam mit Meixner im Rahmen ihres Engagements beim DeFAF für förderliche politische Rahmenbedingungen einsetzt.
Mit dem Streuobst e.V. verfolgt Maixner das Ziel, die Streuobstwiesen über deren Nutzung zu erhalten. Hierfür wird unter anderem die Agrarförderung genutzt, was sich aber in der Anwendung oft als schwierig darstellt. "Wir bringen mit unserem Ansatz Naturschutz und Landwirtschaft zusammen, aber die Vorgaben kennen nur entweder Landwirtschaft oder Naturschutz", so Meixner. Seine Kritik wandte sich an den Vertreter der Politik, Prof. Theuvsen. Dieser verstand die Problematik und konnte die angebrachten Punkte gut nachvollziehen. Bei der Kritik wurde deutlich: Bis auf Streuobst hat Deutschland noch keine gesamtheitlichen gesetzlichen Regulierungen sowohl für die Definition von Agroforstsytemen, als auch für die damit einhergehend notwendige Finanzierung geschaffen. Es fehlt an Weiterbildungsmöglichkeiten für Menschen aus den verschiedenen Bereichen, sei es in der Praxis, an Schule und Universität oder in der Politik und in Behörden.
Bisher sind die meisten Agroforstsysteme in Deutschland aus Eigenmotivation heraus entstanden, wie zum Beispiel das Projekt von Hofmann. Man brauche mehr Beispiele wie diese, um den Landwirt*innen dieses noch unbekannte System der Bewirtschaftung näher zu bringen und nicht nur aus Naturschutz, sondern auch aus ökonomischen Gründen greifbar zu machen, erklärt Meixner.
Ob es die Agroforstwirtschaft in Deutschland in die Breite schafft, hängt in erster Linie von der Ausgestaltung der zukünftigen Agrarförderung ab. Diese wird gerade auf politischer Ebene verhandelt.
Offen bleibt am Abend die Position des Bauernverbandes, dessen Vertreter leider verhindert waren. So blieb es bei einem konstruktiven Austausch statt einer kontroversen Diskussion.
Informationen zu den einzelnen Vorträgen sind über die Website www.streuobstverein.de oder auf dem YouTube-Kanal von TRIEBWERK erhältlich.
(Quelle: Pressemitteilung Streuobst e.V.)